Als Meisterin der Gōngfu-Kampfkunst, die seit Jahrzehnten die Kampfkünste Chinas studiert, bin ich stets daran interessiert, wie sich andere Kampfkünste entwickelt haben.
Ich stellte mir die Frage, ob die Unterschiede größer sind als die Gemeinsamkeiten.
Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss ich hinaus in die weite Welt, an die Wurzeln der anderen Kampfkünste. Mittlerweile habe ich viele Teile Europas, Asiens und Amerikas bereist. Doch bis vor kurzem war mir die Wiege des Budo, also Japan, noch unbekannt. Die Künste des Budos sind elementare Bestandteile der Kampfkünste. Meine Reise führt mich dieses Mal nach Kyoto, eine Stadt voller Tradition und Geschichte, bekannt für ihre reiche Kampfkunst-Kultur. Dort angekommen, beschließe ich, mein Wissen durch Aikido zu erweitern.
Nach einiger Recherche stoße ich auf den Namen Sensei John Pryce, einen angesehenen Meister des Aikido, der sein Dojo White Rose Aikikai in einer ruhigen Straße Kyotos betreibt. Neugierig und voller Erwartungen mache ich mich auf den Weg zu seinem Dojo, um die ersten Eindrücke der faszinierenden Kampfkunst Aikido am eigenen Leib zu erleben.
Bevor ich jedoch einen weiteren Reiseblog über mein Erleben in Kyoto schreibe, möchte ich mit euch meine Erkenntnisse zu den allgemeinen Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Aikido und Gōngfu teilen und ein wundervolles Interview mit Sensei John Pryce präsentieren. An dieser Stelle ein großer Dank für die offenen Worte und die Zeit!
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Gōngfu, auch als Kung Fu bekannt, und Aikido sind beide traditionelle Kampfkünste mit einzigartigen Stilen, Prinzipien und Techniken. Trotz einiger Ähnlichkeiten gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen:
Ursprung und Geschichte
Gōngfu hat seine Wurzeln in China und ist eng mit der chinesischen Philosophie, Kultur und Geschichte verbunden. Es umfasst eine Vielzahl von Stilen und Techniken, die auf Tierbewegungen oder natürlichen Elementen der Verteidigung basieren.
Aikido wurde in Japan von Morihei Ueshiba entwickelt und ist eine relativ moderne Kampfkunst, die sich aus verschiedenen traditionellen japanischen Kampfkünsten wie Jiu-Jitsu, Judo und Kenjutsu entwickelt hat. Aikido betont die philosophischen Prinzipien von Harmonie und ist eng mit dem japanischen Schwertkampf verwurzelt.
Kampftechniken
Gōngfu umfasst eine breite Palette von Techniken, darunter Schläge, Tritte, Hand- und Fußtechniken, Würfe, Hebel und Griffe. Es legt oft Wert auf Schnelligkeit, Kraft und Beweglichkeit. Zudem ist die Variation an Waffenkampf im chinesischen Gōngfu unfassbar hoch.
Aikido konzentriert sich auf das Ausweichen, Umleiten und Neutralisieren von Angriffen. Es verwendet häufig Hebel- und Wurftechniken, um die Energie des Angreifers zu nutzen und zu kontrollieren, anstatt ihn direkt mit Hand und Beintechniken zu bekämpfen. Die Distanz dieser Kampfkunst und ausschlaggebend.
Philosophie und Prinzipien
Gōngfu umfasst oft eine spirituelle und philosophische Dimension, die auf chinesischen Konzepten wie Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus basiert. Es betont auch die Entwicklung von Charaktereigenschaften wie Disziplin, Respekt und Selbstbeherrschung.
Aikido basiert auf Prinzipien der Harmonie, des Ki (Lebensenergie) und der friedlichen Konfliktlösung. Es fördert Werte wie Empathie, Mitgefühl und den Respekt vor dem Leben. Auch hier ist die Nähe zum Buddhismus klar zu erkennen.
Training und Praxis
Gōngfu-Training kann variieren, abhängig von der spezifischen Stilrichtung und dem Lehrer. Es kann intensives physisches Training, Partnerübungen, Formen (Taolu) und sogar Waffenübungen umfassen. Taiji, Qigong udn Meditation sollten in der Praxis nicht fehlen.
Aikido-Training beinhaltet oft Partnerübungen, Rollen (Ukemi), Technikübungen und Randori (Übungen mit mehreren Angreifern). Es legt auch Wert auf Atemtechniken, Meditation und die Entwicklung einer zentrierten Körperhaltung.
Aikido und Gōngfu, trotz ihrer unterschiedlichen Ursprünge und Philosophien, teilen mehrere bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Beide Kampfkünste legen großen Wert auf die Entwicklung von Körper und Geist, betonen Disziplin und Selbstbeherrschung und verfolgen das Ziel, die innere Energie, oft als "Qi" oder "Ki" bezeichnet, zu kultivieren und zu harmonisieren. Sie nutzen fließende, kreisförmige Bewegungen, um die Kraft des Gegners zu kontrollieren und umzulenken, statt sich direkt zu widersetzen. Sowohl Aikido als auch Gōngfu fördern ein tiefes Verständnis von Selbstverteidigung und Selbstentwicklung, wodurch sie nicht nur als körperliche Übungen, sondern auch als Lebenswege betrachtet werden.
Interview mit Sensei Pryce
Ich freue mich sehr von einem so erfahrenen Meister diesen tiefen Einblick der persönlichen Entwicklung innerhalb und außerhalb der Kampfkunst bekommen zu haben. Es sind drei Fragen, die ich Sensei gestellt habe. Das Interview ist auf Englisch und folgend auf deutsch übersetzt.
Who was your first master/trainer, and what was their most important lesson for you?
My first teacher was Tony Heseltine Shihan (7th Dan) from the Prince Bishops Aïkido Club in Durham, Northeast England. I started training with him in 1998 after unsuccessfully trying to find a high-level Shotokan karate club. I was his first student to attain Shodan (1st Dan) grade and at that time he was Yondan (4th Dan). There were two important lessons he taught me that I apply today. First, ‘One Size does not fit all’. Many Sensei are solely focused on leaving a legacy where their students become carbon copies of them, in their movements and style. Heseltine Shihan would show the basic movements and parts of a technique as it related to his stature. Then, he would relate it to different body types training with each other. Someone who is 145cm tall training with someone who is 185cm tall is going to have to adapt technique to suit their body and physical capabilities. When I came to Japan in 2003, I attended many different Dojos, and the Sensei would pair me with someone of equal stature and build so that the ‘kata’ or form of their technique would be preserved and practiced. They did not like variation or your ‘own’ style of movement. Secondly, I once asked him, What is Aïkido?’ He said, ‘I blend with the attacker, and they blend with the ground. At speed!’ It doesn’t have to be all that complicated.
How would you explain your martial art in one or two sentence?
Aïkido is is not simply technique to overcome an aggressor but movement co-ordinated with the total body, mind and spirit. Aïkido, the way of Harmony, is less about the external noise/stimulus but rather the balance of the external and internal to create a state of ‘Mushin’ – no mind. When the mind is not in the way you have pure action and reaction. The is Aiki.
What motivated you to integrate martial arts into your life?
A lifelong dream from childhood to come to Japan and study Budo at the source. In addition, as a teacher and student of Budo, I believe you should have the same strength of character on the mat and off the mat. I do not think you have to have a work head, home head and dojo head…just one is enough to focus on. And finally, the secret to any martial art is what the Japanese call Shugyo – constant and never-ending trading. And that is indeed what I do everyday to integrate Budo into my life.
Folgend ist das Interview auf Deutsch:
Wer war Ihr erster Meister/Trainer und was war seine wichtigste Lektion für Sie?
„Mein erster Lehrer war Tony Heseltine Shihan (7. Dan) vom Prince Bishops Aïkido Club in Durham, Nordostengland. Ich begann 1998 bei ihm zu trainieren, nachdem ich erfolglos versucht hatte, einen hochrangigen Shotokan-Karate-Club zu finden. Ich war sein erster Schüler, der den Shodan (1. Dan) erreichte, und zu dieser Zeit war er Yondan (4. Dan). Es gab zwei wichtige Lektionen, die er mir beibrachte und die ich noch heute anwende. Erstens: „Eine Größe passt nicht für alle.“ Viele Sensei sind ausschließlich darauf fokussiert, ein Erbe zu hinterlassen, bei dem ihre Schüler zu exakten Kopien ihrer selbst in Bewegungen und Stil werden. Heseltine Shihan zeigte die Grundbewegungen und Teile einer Technik, wie sie zu seiner Statur passten. Dann bezog er dies auf verschiedene Körpertypen, die miteinander trainierten. Jemand, der 145 cm groß ist, muss seine Technik anpassen, wenn er mit jemandem trainiert, der 185 cm groß ist, um seinem Körper und seinen physischen Fähigkeiten gerecht zu werden. Als ich 2003 nach Japan kam, besuchte ich viele verschiedene Dojos, und die Sensei stellten mich immer mit jemandem von gleicher Statur und Körperbau zusammen, damit die „Kata“ oder Form ihrer Technik bewahrt und praktiziert wurde. Sie mochten keine Variationen oder den „eigenen“ Bewegungsstil.
Zweitens fragte ich ihn einmal: „Was ist Aikido?“ Er sagte: „Ich harmonisiere mich mit dem Angreifer, und der Angreifer harmonisiert sich mit dem Boden. Und zwar schnell!“ Es muss nicht allzu kompliziert sein.“
Wie würden Sie Ihre Kampfkunst in ein oder zwei Sätzen erklären?
„Aikido ist nicht einfach eine Technik, um einen Angreifer zu überwinden, sondern eine Bewegung, die mit dem gesamten Körper, Geist und Spirit koordiniert wird. Aikido, der Weg der Harmonie, ist weniger auf äußeren Lärm und Reize fokussiert, sondern auf das Gleichgewicht von äußeren und inneren Faktoren, um einen Zustand des „Mushin“ – des leeren Geistes – zu schaffen. Wenn der Geist nicht im Weg ist, hat man reine Aktion und Reaktion. Das ist Aiki.“
Was motivierte Sie, Kampfkunst in Ihr Leben zu integrieren?
Ein lebenslanger Traum aus der Kindheit, nach Japan zu kommen und Budo an der Quelle zu studieren. Außerdem glaube ich als Lehrer und Schüler des Budo, dass man denselben Charakter auf der Matte und außerhalb der Matte haben sollte. Ich denke nicht, dass man einen Arbeitskopf, einen Zuhause-Kopf und einen Dojo-Kopf haben muss... nur einen, auf den man sich konzentrieren kann.
Und schließlich ist das Geheimnis jeder Kampfkunst das, was die Japaner Shugyo nennen – ständiges und unaufhörliches Training. Und genau das mache ich jeden Tag, um Budo in mein Leben zu integrieren.“
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Vielen Dank fürs lesen und bis bald
Yasmin
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