
ALTE MEISTER, NEUE GENERATION: Martial Arts hats ein Problem mit Diversity oder nicht?
- Coach Yazz
- 9. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Die Welt der Kampfkunst hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Früher war sie von klaren Hierarchien und maskulinen Werten geprägt: der Meister, der Respekt gebietet, und die Schüler, die ihm folgen – ein Bild, das durch zahlreiche Filme und Erzählungen verstärkt wurde.
Doch heute, in einer zunehmend offenen und inklusiven Gesellschaft, sehen wir, wie sich dieser Rahmen verschiebt. Martial Arts kann nicht mehr nur durch die Linse alter Rollenbilder betrachtet werden, sondern muss vielmehr ein Raum sein, in dem jede:r – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Identität – die Möglichkeit hat, zu wachsen und zu gedeihen.
Martial Arts bedeutet Empowerment
Egal, um welche Martial-Art es sich handelt – Gōngfu, Aikidō, Karate, Judo, Ju-Jutsu oder BJJ – der Fokus sollte auf der Förderung von Kindern und Jugendlichen liegen. Wenn wir heute über Kampfkunst oder Kampfsport sprechen, denken viele noch immer an eine stark hierarchische, oft auch sehr maskuline Struktur. Ich selbst habe als junge Frau in einer männlich dominierten Welt der Kampfkunst trainiert. Als Mädchen spielte ich in meiner Freizeit Fußball mit den Jungs, beim Basketball war ich genauso mit dabei, und bei Leichtathletik-Wettkämpfen in der Schule musste ich oft gegen Jungen antreten, weil ich schneller war als die meisten Mädchen.
Diese Erfahrungen haben mir eine wichtige Erkenntnis gebracht: Es ist nicht das Geschlecht, das zählt, sondern die individuelle Leistung und der Wille, sich immer weiter zu verbessern, sich selbst besser kennenzulernen, den inneren Konflikt zu beenden und die beste Freund:in im eigenen Herzen zu werden. Die Grenzen, die mir von außen auferlegt wurden, haben mich nie aufgehalten, sondern motiviert, meine eigenen Ziele zu erreichen – da ich mir selbst im Training am nächsten war.
Ganz nach dem Motto eines wahren Meisters namens Muten Roshi:
„Wir beherrschen keine Kampfkünste, um Kämpfe zu gewinnen. Wir tun es, um uns selbst zu besiegen.“
Das Training in der Kampfkunst ist nicht nur körperlich, sondern auch mental eine Herausforderung. Es geht nicht darum, sich an anderen zu messen oder in einem Wettbewerb zu stehen, sondern darum, die eigene Leistungsgrenze zu erkennen und zu erweitern. Egal, ob du ein 16-jähriger Junge oder eine 39-jährige Frau bist – dein Training ist individuell und sollte auch so behandelt werden. Die wahre Stärke liegt im persönlichen Wachstum, und genau darum geht es in jeder Kampfkunst- oder Kampfsportart: jede:r Schüler:in soll die Möglichkeit haben, sich selbst zu übertreffen.
Die Perspektive des traditionellen Trainers: Ängste und Unsicherheiten
Es ist verständlich, dass viele Trainer:innen, die aus einer traditionellen Kampfkunstschule kommen, Bedenken haben, wenn es um den Wandel der neuen Generation geht. Die Angst, dass das Training „weich“ wird, an Intensität verliert oder Werte „verloren gehen“, ist eine häufige Sorge. Der Gedanke, dass ein offenerer, inklusiverer Ansatz die nötige Härte und Disziplin aus dem Training nehmen könnte, ist weit verbreitet.
Doch ich glaube, dass wahre Autorität nicht durch Angst oder Druck entsteht, sondern durch Authentizität. Eine Trainerin oder ein Trainer muss nicht die „starke, unerschütterliche“ Führungsperson sein, die alles weiß und ständig Macht ausübt. Vielmehr sollte ein:e Trainer:in als Mentor:in fungieren, der oder die den Schüler:innen hilft, ihre eigenen Stärken zu erkennen und zu entwickeln – ohne die eigene Rolle zur Machtausübung zu nutzen. Wahrer Respekt kommt nicht aus Angst vor Strafe, sondern aus einer Beziehung, die auf Vertrauen und Empathie basiert.
Ich selbst habe in meinem Training nie mit Druck gearbeitet. Stattdessen habe ich immer versucht, einen Sog zu erzeugen – ein positives, motivierendes Umfeld, in dem jede:r Schüler:in gerne an sich arbeitet und die eigenen Grenzen verschiebt.
Meine Schüler:innen wachsen mit ihrem Potenzial über sich selbst und auch über mich hinaus – was mich mit Stolz erfüllt. Kein persönlicher Erfolg hat mir je ein besseres Gefühl gegeben als die Momente, in denen sich meine Schüler:innen selbst übertroffen haben. Denn sie sind mein wahres Vermächtnis – nicht meine Pokale, Medaillen oder Urkunden.
Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass es anderen Meister:innen an dieser Stelle anders geht: Sie verspüren eine Art Kontrollverlust – das eigene Können ist begrenzt, und die heroische Position, die man so lange verkörpert hat, löst sich in Luft auf. Das kann ganz schön am Ego kratzen. Deshalb sind alte hierarchische Strukturen oft auch mit einem starken Sicherheitsbedürfnis bei Trainer:innen und Meister:innen verbunden.
Es ist wichtig, als Trainer:in den Mut zu haben, alte Strukturen zu hinterfragen und Kindern sowie Jugendlichen den Raum zu geben, sich in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln – ohne die Angst, dass dadurch die Qualität des Trainings oder die Herausforderung verloren geht. Als aktives Vorbild weist man ihnen den Weg, den man selbst gegangen ist, und entzündet hoffentlich ganz individuell das Feuer für Kampfkunst oder Kampfsport.
„Divers bin ich schon als weibliche Shīfù – was eigentlich ‚Lehrvater‘ bedeutet! Mich, als Frau gibt es in der hierarchischen Struktur einfach nicht in der Tradition.“
Als Frau in einem Umfeld, das traditionell von Männern dominiert wird, habe ich oft erlebt, wie sich Sport und Kampfkunst mit stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit und Leistung verbinden. Doch ich hatte nie die Intention, mich diesen traditionellen Geschlechterrollen anzupassen, um erfolgreich zu sein. Vielmehr war es der Fokus auf meine persönliche Entwicklung, der mich vorangetrieben hat.
Klar, es gab „dumme Sprüche“, aber auch das „verbale Training“ hat mich schlagfertiger gemacht – und irgendwann konnte man(n) mir auch da nicht mehr das Wasser reichen. ;)
Die positiven Erfahrungen, die ich als Mädchen im Fußball, Basketball und anderen Sportarten gemacht habe, ließen mich nie daran zweifeln, dass ich genauso leistungsfähig sein kann wie jede andere Person – unabhängig vom Geschlecht. In meinem Werdegang – von den Bundesjugendspielen bis hin zu Ninja Warrior und einer Nahkampfausbildung bei der Fremdenlegion – ging es nie um den Vergleich mit anderen, sondern um meine eigene Leistungsgrenze. Diese Haltung hat mich stets motiviert, meine Ziele zu erreichen – auch wenn äußere Stimmen etwas anderes behaupteten.
Das ist der Punkt: äußere und vor allem innere Stärke muss sich entwickeln können. Sie braucht einen vertrauensvollen Raum und Menschen, die das Strahlen in einem sehen wollen.
Unsere Verantwortung als Trainer:in oder Meister:in in einer modernen, inklusiven Kampfkunstwelt
Die Verantwortung als Trainer:in oder Meister:in geht über die reine Technik hinaus. Es geht darum, für jedes Kind und jede:n Jugendliche:n einen individuellen Weg zu finden, der nicht in vorgefertigte Schablonen passt – ohne Vorurteile und ohne Einschränkungen durch traditionelle Normen. Wie der Buddhismus zeigt, gibt es unzählige Wege zur Selbstfindung – und genauso sollte auch die Kampfkunst sein: Es gibt keinen einzigen „richtigen“ Weg; vielmehr gibt es so viele Wege, wie es Menschen gibt.
Wir müssen lernen, zuzuhören und den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Fragen, die Kinder und Jugendliche stellen, sind der Schlüssel zu ihrem Wachstum. Der Weg, den jede:r Einzelne in der Kampfkunst geht, sollte respektiert und gefördert werden. Das bedeutet, dass ich als Trainerin nicht nur Technik und Philosophie der Kampfkunst vermittle, sondern auch die Verantwortung trage, einen Raum zu schaffen, in dem jede:r Schüler:in im eigenen Tempo und auf eigene Weise wachsen kann.
Fazit
Martial Arts sind nicht nur eine körperliche Disziplin – sie sind eine Reise zu sich selbst. Die Zukunft aller Martial-Arts-Formen ist inklusiv, respektvoll, individuell – und genauso fordernd wie zuvor. Als Trainer:in und Meister:in trage ich die Verantwortung, jedem Kind und jeder:m Jugendliche:n die Freiheit zu geben, auf dem eigenen Weg zu wachsen und das eigene innere Feuer zu entfachen.







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