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HILFE, MEIN KIND LÜGT!


Es ist ein Schlag ins Gesicht, wenn du erkennst, dass die Geschichte, die dir erzählt wird, nicht wahr ist – vor allem, wenn es dein eigenes Kind ist. Das Band der Einheit und des Vertrauens, das ihr in all den Jahren gemeinsam geflochten habt, scheint sich zu entflechten und vor den Reizen zu stehen.


Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist entscheidend für die gesunde Entwicklung des Kindes. Wenn dein Kind anfängt zu lügen, kann das dich vor Herausforderungen stellen. Hier sind ein paar psychologische und pädagogische Tipps, wie du konstruktiv mit der Situation umgehen kannst.


Bevor ich beginne, gewähre ich dir einen kurzen Einblick in meinen Alltag mit Kindern. Ich arbeite an einer Grundschule und begleite die Klassen bereits seit mehreren Jahren. Der Prozess von “Ich vermisse meine Mama, Papa und das Schnuffeltuch und will nach Hause!” entwickelt sich mit dem Start in die (Pre-)Pubertät zu “… aber das sagen wir Mama und Papa nicht!”. Ich erlebe, wie die Kinder ihre eigenen “Prozesse der Abgrenzung” nicht nur gegenüber ihren Eltern durchlaufen, sondern natürlich auch gegenüber anderen Personen, zum Beispiel mir als Vertrauensperson am Vormittag und Nachmittag. Mir ist wichtig, dir zuallererst den schmerzenden Zahn zu ziehen: Es geht nicht allein gegen dich, wenn dein Kind lügt.


Warum fangen Kinder an zu Lügen?

In der (Pre-)Pubertät kann das Auftreten von Lügen bei Kindern verschiedene Ursachen haben, die eng mit den emotionalen und sozialen Veränderungen in dieser Phase verbunden sind. Hier sind einige Zusammenhänge:


   1. Peer-Druck: Der Einfluss von Gleichaltrigen nimmt in der Pubertät zu. Kinder könnten lügen, um sich in sozialen Gruppen zu integrieren oder um bestimmten Erwartungen ihrer Peergroup zu entsprechen.


   2. Angst vor Bewertung: Die Angst vor negativem Urteil durch Eltern, Lehrer*innen oder Gleichaltrige kann Kinder dazu verleiten, unehrlich zu sein. Dies könnte durch den Wunsch motiviert sein, Ablehnung oder Bestrafung zu vermeiden.


   3. Gefühl der Unsicherheit: Die körperlichen, emotionalen und sozialen Veränderungen in der Pubertät können Unsicherheiten hervorrufen. Lügen könnten als Strategie dienen, um Unsicherheiten zu kaschieren und ein gewisses Maß an Kontrolle zu behalten.


   4. Identitätssuche: Während der Pubertät durchläuft ein Kind eine intensive Identitätssuche. In diesem Prozess könnten Lügen als Versuch auftreten, sich selbst zu definieren oder einer erwarteten Rolle gerecht zu werden.


   5. Unabhängigkeit: Kinder streben, auf dem Weg zum Erwachsenwerden, nach Unabhängigkeit und Autonomie. Lügen könnten als Mittel dienen, um gewisse Freiheiten zu gewinnen oder Handlungen zu verschleiern, die sie für ihre persönliche Entfaltung als wichtig erachten.


Insgesamt spiegelt das Lügen in der (Pre-)Pubertät oft die komplexen Herausforderungen wider, mit denen Kinder konfrontiert sind, wenn sie ihre eigene Identität entwickeln und in der sozialen Welt navigieren. Du kannst durch Verständnis, offene Kommunikation und die Förderung von Selbstbewusstsein dazu beitragen, dass dein Kind einen gesunden Umgang mit seinen Gefühlen und Herausforderungen findet, was wiederum die Tendenz zu unehrlichem Verhalten verringern kann.


Was ist zu tun, wenn dein Kind lügt?


   1. Verständnis zeigen:

Versuche, die Gründe hinter der Lüge zu verstehen. Manchmal lügen Kinder aus Angst vor Strafe oder aus dem Bedürfnis heraus und noch viel schlimmer: um deine Erwartungen zu erfüllen. Ein offenes Gespräch kann Einblicke bieten. Dabei haben Vorwürfe, wie Du dich dabei fühlst, keine Priorität. Es ist schnell der Weg zur „emotionalen Erpressung“, was dein Kind noch mehr in die Ecke von Erwartungen drängt.


   2. Kommunikation fördern:

Schaffe eine offene Kommunikationsumgebung, in der dein Kind sich sicher fühlt, die Wahrheit zu sagen. Konsequenzen sollten sich auf ein Lernprozess beziehen, am besten geleitet von dem Kind selbst. Es sollte die Chance sein, wieder Vertrauen aufzubauen. Bestrafung hat mit dem Wiederaufbau von Vertrauen nichts zu tun.

Die offene Kommunikationsumgebung wird allein von Dir geschaffen. Dein Ton, deine Haltung und auch die Formulierung deiner Sätze sollten nicht davon durchtränkt sein, wie sehr du von deinem Kind enttäuscht oder du wütend und traurig bist.

   Wir selbst haben vielleicht als Kinder nie eine offene Kommunikationsumgebung bei solchen Gesprächen vorgefunden und wenn wir uns mal zurück erinnern, waren die Gespräche auch nicht förderlich, eine internistische Motivation auszulösen, nicht mehr zu lügen.


3. Selbstreflexion anregen:

Stelle einfache Fragen wie: „Was hättest du noch machen können?", "Hätte es eine andere Option gegeben, statt zu lügen?“, „Was würdest du dir wünschen, wenn jemand dich angelogen hat?“ oder „Was könnte helfen, das Vertrauen in diese Person wieder aufzubauen?“ Diese Fragen helfen, die Bedeutung von Ehrlichkeit zu begreifen.

 Bleibe beim Gespräch auf dem „Weg der Kausalen Zusammenhänge“ deines Kindes: Folge der Geschichte, warum dein Kind gelogen hat. Oft stecken Ängste, Erwartungen oder Scham dahinter. Durch Verständnis kannst du ihre/seine Entscheidung zum Lügen akzeptieren und daraufhin zusammen überlegen, welche anderen Wege sie/er hätte wählen können, die weniger belastend gewesen wären. Die Selbstreflexion zeigt oft, dass der „ehrlichere Weg“ emotional leichter ist. Das eröffnet die Chance, dass dein Kind bewusster handelt und ein aufrichtigeres Verhalten entwickelt.


4. Positive Verstärkung nutzen:

Lobe dein Kind, wenn es ehrlich ist, auch wenn die Wahrheit unangenehm war. Zeige Dankbarkeit für wahre Worte seitens deines Kindes. Positive Verstärkung stärkt das Vertrauen und motiviert, die Wahrheit zu sagen. Das ist oft leichter gesagt als getan, weil viele Eltern so voller negativer Gefühle stecken, wenn die Lüge ans Tageslicht kommt. Es ist ein Prozess, und je weniger du es persönlich nimmst, sondern die Lüge als Lerngegenstand betrachtest, an dem man arbeiten kann, desto besser kannst du auch mit positiver Verstärkung arbeiten.


5. Vorbild sein:

Kinder lernen durch Beobachtung. Wenn Eltern offen und ehrlich kommunizieren, neigen Kinder eher dazu, dasselbe zu tun. Achte darauf, ob du häufig zu „Notlügen“ gegenüber deinem Kind neigst. Wir haben unsere eigene Strategie entwickelt, seit unserer Kindheit, um das Leben leichter zu machen, Stress zu vermeiden oder angenehmer mit Situationen umzugehen. Zum Beispiel: Du hattest den ganzen Tag Kopfschmerzen. Du gehst einkaufen mit deinem Kind, triffst eine gute Freundin, und sie fragt dich, wie es dir geht. Du antwortest: „Ach… mir geht's super.“ Dein Kind hat live miterlebt, wie du um dein eigenes Wohlbefinden gelogen hast. Hier kann man eher zum Vorbild für Ehrlichkeit werden, indem man bei der Antwort etwas näher an der Wahrheit bleibt.


6. Grenzen setzen: 

Klare Grenzen sind wichtig, aber setze sie respektvoll. Zeige, dass Regeln dazu dienen, Sicherheit und Verantwortung zu fördern, nicht um das Kind zu bestrafen. Die Grenzen sollten stets die Gleichen bleiben; es darf nicht zum eigenen Vorteil „ok“ sein, dass das Kind z.B. den anderen Elternteil anlügt oder jemand anderen.


7. Vertrauen wiederaufbauen: 

Wenn dein Kind gelogen hat, hilf ihm/ihr, das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. Gib ihm/ihr Gelegenheiten, Verantwortung zu übernehmen und positive Verhaltensweisen zu zeigen. Es könnte herausfordernd sein für dich, nicht die gesamte Kontrolle über dein Kind zu übernehmen (Kontrollanrufe etc.). Der Kontrollwahn signalisiert Misstrauen seitens deines Kindes. Das ist nicht förderlich und bietet nur die Möglichkeit, zu versagen. Dein Kind sollte Raum erhalten, um Vertrauen wiederherzustellen.


Der Umgang mit lügenden Kindern erfordert Geduld, Verständnis und bewusste Förderung der Kommunikation. Indem du dich vor der Konfrontation selbst reflektierst, warum du so wütend und enttäuscht bist, kannst du dich vorher emotional entladen. So schaffst du eine unterstützende Umgebung im Gespräch, ohne von deinen Gefühlen eingeschränkt zu sein.


Mit diesen Ansätzen schaffst du nicht nur eine unterstützende Umgebung für offene Kommunikation, sondern stärkst auch das Vertrauen zwischen dir und deinem Kind. Denkt gemeinsam darüber nach, wie Ehrlichkeit die Beziehung positiv beeinflussen kann.


Letzter Tipp von mir ganz persönlich: Bleibe humorvoll. Situativ, nicht persönlich! Wenn wir in einer positiven Gestimmtheit sind, tendieren wir zu humorvollen Floskeln. Das kann an dieser Stelle, den Druck aus dem Moment nehmen.


Ich freue mich auf Kommentare


Liebe Grüße

Yasmin

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